Zusammenarbeit
mit den Komponisten anlässlich des Player Piano-Projektes im Rahmen
der Musiktriennale Köln 2000
Nancarrow avancierte nach
seiner ‘Entdeckung’ in den frühen achtziger Jahren zu einer Art Kultfigur
in der zeitgenössischen Musikszene, und seine Kompositionen für Player Piano waren - und sie sind es noch heute - mit der Aura des Geheimnisvollen
umgeben. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass man zur authentischen
Wiedergabe ein geeignetes Instrument, d.h. ein Klavier oder einen Flügel
mit einer Ampico-Selbstspieleinrichtung (Ampico = American Piano Company) benötigt. Diese Instrumente, deren Produktion
Anfang der dreißiger Jahre eingestellt wurde, befinden sich heute
in Museen oder in Sammlerhänden. Die einzigen Instrumente, die nach
Nancarrows Wünschen modifiziert wurden und die für Konzertveranstaltungen
zur Verfügung stehen, sind der Ampico-Bösendorfer- sowie der
Ampico-Fischer-Flügel des Autors. Es ist deshalb nicht verwunderlich,
dass viele Komponisten, die von dem Faszinosum Nancarrow / Player
Piano angetan waren, früher oder später den Weg nach Bergisch
Gladbach fanden, wo die Instrumente üblicherweise in meinem Wohnzimmer
stehen.
So ergab sich in den letzten
Jahren eine fruchtbare und faszinierende Zusammenarbeit mit vielen Komponisten.
Ein erster Besuch diente meist dazu, Nancarrows Musik ‘original’ zu hören
und die Möglichkeiten und Grenzen des pneumatischen Systems kennen
zu lernen. Manchmal vergingen Jahre, manchmal aber auch nur Monate oder
Wochen, bis ein zweiter Besuch folgte, bei dem oft schon erste kompositorische
Versuche oder Ergebnisse mitgebracht wurden.
Bis vor wenigen Jahren benötigte
man zur Steuerung des Player Pianos Lochstreifen. Eine Komposition musste
in mühevoller Arbeit auf einen Papierstreifen übertragen und
Loch für Loch gestanzt werden - dies war meist meine Aufgabe. Dann
musste die Dynamik kodiert werden: die Lautstärke wird ebenfalls über
bestimmte Spuren und Lochungen auf dem Papierstreifen gesteuert. Die Anfertigung
eines solchen Lochstreifens bedeutete wochenlange - oft monatelange Arbeit.
Dank der Mithilfe zweier Fachleute - Horst Mohr und Walter Tenten - gelang
es 1994, eine Computersteuerung zu entwickeln, die es ermöglichte,
die Instrumente zu steuern und zu synchronisieren, ohne den aufwendigen
Weg über den Lochstreifen zu beschreiten.
Hierzu war es jedoch notwendig,
die Partitur in Midi-Daten zu übertragen, d.h. im Computer quasi ein
Abbild des Lochstreifens zu erzeugen. Dabei war mir Werner Funk aus Stuttgart
eine unschätzbare Hilfe. Letztendlich mussten auch die Midi-Dateien
eine Dynamik-Kodierung erhalten.
Die Zusammenarbeit mit den
Komponisten gestaltete sich recht unterschiedlich: Am einen Ende der Skala
steht sicherlich Wolfgang Heisig, der schon
mehrfach für selbstspielende Instrumente komponierte und der ein hervorragender
Kenner des Systems ist. Er lieferte eine gestanzte Notenrolle, die schon
die Dynamik-Kodierung enthielt. Am anderen Ende der Skala wäre
Krzysztof
Meyer zu nennen, mit dem mich seit vielen Jahren eine enge Freundschaft
verbindet, und der über einen Zeitraum von drei Monaten häufig
bei uns zu Gast war - manchmal für mehrere Tage - um in direktem Kontakt
mit den Instrumenten seine Kompositionsskizzen auszuarbeiten. Dies erlaubte
natürlich eine optimale Realisierung seiner musikalischen Ideen.
Dazwischen gab es fast alle
Übergangsstadien: Steffen Schleiermacher
lieferte fertige Midi-Dateien, die wir in mehreren Sitzungen dynamisch
ergänzten. Kiyoshi Furukawa schickte
aus Japan ebenfalls Midi-Dateien, die mit Hilfe eines Computerprogramms
generiert wurden. Da er ausdrücklich keine aufwendigen dynamischen
Differenzierungen wünschte, konnten wir anlässlich eines
Besuches alle zwölf Stücke an einem Tag bearbeiten.
Michael
Denhoff schickte Partituren von fast kalligraphischer Präzision,
deren Übertragung in Midi zwar zeitaufwendig aber sonst problemlos
war. Die differenzierte dynamische Bearbeitung, die wir gemeinsam vor Ort
an den Instrumenten durchführten, nahm jedoch mehrere Tage in Anspruch.
Etwas ‘problematischer’
- und zwar ausschließlich wegen der räumlichen Entfernung -
war die Zusammenarbeit mit dem in den USA lebenden Pianisten
Marc-André
Hamelin. Er schickte eine konventionelle Partitur, die wiederum von
Werner Funk in Midi-Daten übertragen wurde. Die dynamische Bearbeitung
erwies sich wegen des ausdrücklich gewünschten extremen Tempos
als recht schwierig:
an manchen Stellen war die
Musik schneller als die Schaltgeschwindigkeit der Dynamik-Befehle. Dennoch
- nachdem etliche Tonkassetten den großen Teich überquert und
einige ‘Telefonkonzerte’ stattgefunden hatten, geriet alles zur Zufriedenheit
des Komponisten.
Die höchsten Anforderungen
stellte sicherlich ‘playmanic’
von Gerhard Stäbler: eine fast hundertseitige
Partitur musste wiederum in Midi übertragen werden. Dies schien zu
Anfang eine schier unlösbare Aufgabe, da Stimmen in konstanter Geschwindigkeit
mit gleichzeitig ablaufenden Stimmen kombiniert waren, die sich permanent
beschleunigten bzw. verlangsamten. Da alle Sequenzer-Programme mit festen
Taktsystemen arbeiten, mussten bei den Accelerandi und Ritardandi die Tonlängen
einzeln berechnet werden - eine Aufgabe, die Werner Funk schließlich
in mühevoller ‘Kleinarbeit’ löste. Bei
der Bearbeitung der Dynamik war der englische Pianist und Musikwissenschaftler Francis Bowdery eine unersetzliche Hilfe.
Die Übertragung der
nur einseitigen Partitur von Daniel N. Seel in
Midi war ein Kinderspiel - nicht hingegen die Anweisung, die vorgegebene
Tonskala in genau 11 Minuten so oft zu wiederholen, bis das Tempo von 30
auf 15 abgesunken ist. Nach einer weiteren Wiederholung sollte das Stück
bei exakt 11 Minuten und 11 Sekunden enden. Aber auch diese mathematische
Aufgabe war lösbar. Da die gewünschte Dynamik auf nur einem Player
Piano nicht realisierbar war, wurde das Stück für zwei Instrumente
eingerichtet.
Bei Herzstück von Georg
Hajdu war neben den beiden Player Pianos noch eine Video-Projektion
vorgesehen. Der Aufwand bei der Kodierung der Dynamik überstieg nicht
das übliche Maß, aber die Probleme, die bei der synchronen Steuerung
von zwei Klavieren plus Video-Projektion auftraten, erforderten umfangreiche
Vorbereitungen. Ganz problemlos verlief die Bearbeitung der Kompositionen
von Georg Kröll - nach zwei ‘Sitzungen’
hatten wir seine beiden Klavierstücke ‘im Kasten’.
Jürgen
Hocker
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